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Internetrat ermittelt gegen PR-Ethik-Rat

Der ÖIR begrüßt als unabhängiges und selbst-konstituiertes Gremium eine reichhaltige österreichische Rats-Landschaft und freut sich grundsätzlich über engagierte Kollegen, die sich lauthals Sorgen über den Ethikverfall in der österreichischen Medienlandschaft machen. Betätigungsfelder gibt es mehr als genug, und in der zwielichtigen Welt der PR lauert hinter jeder Presse-Aussendung ein potentieller Ethikverstoß – insofern war die Gründung des österreichischen Ethik-Rats für Public Relations im Dezember 2008 mehr als überfällig. Durch einen Artikel in der Tageszeitung „Der Standard“ stießen wir allerdings auf eine vermutete Kompetenz-Anmaßung, die uns zwingt, genauere Nachforschungen anzustellen.

Eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit mit dem Internetrat lässt sich keinesfalls verleugnen:

Als Organ der freiwilligen Selbstkontrolle der heimischen PR-Fachleute überwacht der Ethik-Rat die Einhaltung ethischer Grundsätze in der Öffentlichkeitsarbeit, untersucht Streitfälle, benennt Missstände und zeigt Fehlverhalten auf.

Wiewohl unterscheidet sich der ÖIR vom PRER in einem wesentlichen Punkt: unser Verweisverfahren läuft vollkommen transparent ab, während der PRER auf totale Undurchsichtigkeit setzt, wie der Standard berichtet:

Seit der PR-Ethik-Rat Ende 2008 seine Arbeit aufgenommen hat, wurden schon zahlreiche Beschwerden wegen „mangelnder Abgrenzung von Werbung und redaktionellen Inhalten in verschiedenen Medien“ an ihn herangetragen. […] Die Beschwerden beziehen sich auf neun konkrete Fälle [Hervorhebung durch den ÖIR, eckige Klammer samt Inhalt ebenfalls]. Der Rat will aber keine Einzelfälle publik machen, da es sich um ein „branchenweites Problem“ handle. Ratsvorsitzender Wolfgang Langenbucher, emeritierter Vorstand des Wiener Publizistik-Instituts: „Mit der neuen Vielfalt an Medien hat sich auch eine Vielfalt an neuen Werbeformen herausgebildet, bei denen die klare Unterscheidbarkeit von redaktioneller Berichterstattung und Werbung zunehmend verschwimmt.“ Ob das mit Absicht geschehe oder nicht, sei unerheblich: „Wenn die Konsumenten getäuscht werden, so untergräbt das auf Dauer die Glaubwürdigkeit der Medien, die dann ihre gesellschaftliche Aufgabe nicht mehr erfüllen können.“

Abgesehen von der Tatsache, dass totale Geheimhaltung nicht nur auf den ersten Blick der Mission „Missstände benennen“ und „Fehlverhalten aufzeigen“ zu widersprechen scheint, war es vor allem der Rekurs auf die „neuen Werbeformen“, der uns sofort aufhorchen ließ – Ununterscheidbarkeit von redaktionellem Content und Werbung, total massenmediale Disfunktionalität (vgl. Ulrich Saxer u.ä.) – es gibt nur zwei Möglichkeiten: Wolfgang Langenbucher bezieht sich offenbar entweder auf Teletext, das Internet oder beides.

Der ÖIR vermutet, dass sich mindestens einer der neun Verstöße auf ein Online-Medium bezieht und damit (auch) unter die Zuständigkeit des ÖIR fällt. Wir fordern den PREthikrat daher dringend zur Zusammenarbeit auf, da nur eine Offenlegung des betreffenden Falles uns die allfällige Einleitung eines Verweisverfahrens ermöglicht. Der Fall des „Kronenzeitungs-Leserbriefs“ hat deutlich gezeigt, dass Informationen, sobald sie frei zugänglich im Internet stehen, nicht nur potentiell für immer öffentlich zugänglich sind, sondern sich auch permanent der Gefahr der Verfälschung durch Weitergabe und anderen Risiken ausgesetzt sehen. Denn Dokumentation ist ein essentieller Bestandteil lückenloser Aufklärung und in ihrer beispielgebenden Wirkung ein unverzichtbarer Motor effektiver freiwilliger Selbstkontrolle.

ÖIR Barcamp, Anlaufstellen und Infrastruktur-Unabhängigkeit

Kennen Sie das Phänomen der selektiven Wahrnehmungsveränderung? Kaum bündelt man die eigene Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Phänomen, taucht es auch schon an allen Ecken und Enden auf. (Wie in dem berühmten Experiment, in dem Stanley Milgram von dem rosaroten Elefanten, an den er nicht denken sollte, fast aufgefressen worden wäre.) Die Räterepublik lebt in fast ganz anderem Sinn fort, an allen Ecken und Enden sprießen PR-Räte, Geheimräte und geheime PR-Räte aus dem Boden. Beim gestrigen ÖIR-Barcamp haben wir die österreichische Ratssituation eingehend analysiert und können mit Beruhigung feststellen: Besorgte Hobby-Ethiker finden mittlerweile so viele Anlaufstellen wie nie zuvor.

Nur um den Facebookrat machen wir uns doch ernsthafte Sorgen und möchten darauf hinweisen, dass es uns überaus gefährlich erscheint, einen Facebook-Rat innerhalb von Facebook zu gründen, da man sich damit einem willkürlichen Verhalten des Hosts aussetzt. Es steht leider zu befürchten, dass sich der Facebook-Rat in kritischen Fragen mit Facebook-CEO Mark Zuckerberg wird arrangieren müssen, da ansonsten die betreffende Gruppe jederzeit gelöscht werden kann. (es wäre nicht der erste Ethik-Rat, welcher der Willkür von „Betreibern“ zum Opfer fällt.) Bei der gestrigen Session „Rats-Infrastruktur und Unabhängigkeit“ haben wir ein Konzept ausgearbeitet, das wir dem Facebookrat dringend empfehlen möchten: getreu unserem Prinzip, dass im Zweifelsfall nur jener das letzte Wort besitzt, welcher serverseitig filtert, liegt die einzig vernünftige Lösung im Aufbau einer Ethik-immanenten Parallelstruktur. Analog zu saubertweeten (mehr dazu in Kürze) sollte idealerweise ein eigenes „Facebook“ (ev. „Cleanbook“) betrieben werden, um jegliche Betreiber-seitige Einflussnahme auf den medien-ansässigen Ethikrat zu verhindern. (Ähnliches gilt für Myspace-, StudiVZ- und gleichwertige Räte.)

PS: Dies ist kein Verweis, sondern lediglich eine Empfehlung.

Österreichischer Internetrat in aller Munde

Das Medienecho hält mit unverminderter Heftigkeit an – wir danken an dieser Stelle Unterstützerinnern und Unterstützern, ganz besonders aber jenem Personenkreis, der den Gedanken des ÖIR eifrig in soziale Netze weiterträgt. Besonders glücklich machen uns kritische Auseinandersetzungen mit den Instrumenten, die wir geschaffen haben: denn wie von Anfang an betont, handelt es sich beim Österreichischen Internetrat um eine Institution, die sich in enger Zusammenarbeit mit den Usern für mehr Selbstkontrolle und Ethik im österreichischen Internet einsetzt. Unsere diesbezügliche Aufgabenbeschreibung haben wir in einem Wochenend-Workshop gemeinsam erarbeitet und werden sie am Montag der Öffentlichkeit präsentieren.

Nachlesen über die Tätigkeiten des ÖIR in der ersten Woche kann man in der ORF Futurezone. Barbara Wimmer hat mit dem Vorstand ein Interview geführt, und unsere Empfehlung an die KroZ, hinfort keine Leserbriefe mehr online zu veröffentlichen, blieb nicht ungehört:

Zusammen wollen sie als Österreichischer Internetrat ab sofort die Internet-Nutzer zur freiwilligen Selbstkontrolle aufrufen und Online-Ethikempfehlungen aussprechen – allerdings nur nach einer entsprechenden Aufforderung über ein Eingabeformular. Ein erster Verstoß wurde vom ÖIR bereits bearbeitet. Er betraf ein österreichisches Medienunternehmen.

Sehr elegant hat Isabella Pöschl in ihrem Blog unsere Kernaufgabe umrissen:

Wie auch der Deutsche Internet Rat zählt es das österreichische Gremium zu seinen Aufgaben, Menschen darauf hinzuweisen, dass sie selbst – im Verbund mit Webtechnologie – die größten Feinde der Online-Ethik sein können.

Und auf Krejcik.at spricht der Autor einen unserer Meinung nach immens wichtigen Punkt an: erst die Praxis unserer Arbeit wird zeigen, ob der ÖIR nachhaltige Selbst-Ethik Effekte erzielen und bewirken kann:

Zumindest gebührende Skepsis ist in Österreich nichts außergewöhnliches. Neugründungen wie der Roundtable der Nic.at, Domainbeirat oder der Registrarverband haben in der Vergangenheit die Gemüter der heimischen Netzwelt bemüht. Von manch einer Gründung ist heute nichts mehr im Netz zu finden. Das Netz hat zwar ein langes Gedächtnis. Aber für Nachhaltigkeit muss schon der Mensch dahinter sorgen. Genau das werden wir sehen ob dies ein Internetrat auch leisten kann.

Wir werden uns weiterhin bemühen, alle Eingaben höchst gewissenhaft zu bearbeiten – und bleiben dabei selbstverständlich auf Ihre Unterstützung angewiesen!